Knauss Sibylle: Liebesgedächtnis (2015)

Ein einfühlsamer Liebesroman, zugleich aber ein kluges Buch zum Thema Alter und Alzheimer.

Sibylle Knauss’ Roman ist anders als ihre anderen – ohnehin auch sehr unterschiedlichen - Bücher. Hauptfigur ist jedoch auch hier eine Frau.

Zunächst war das Buch für mich allein deswegen faszinierend, weil ich die Autorin seit Jahrzehnten persönlich kenne und die biographischen Elemente offensichtlich sind. Eine Freundin durch ihre Bücher besser kennen lernen als durch sie selbst???

Vielleicht, denn Sibylle ist eine zurückhaltende, kontrollierte Frau.

Das bleibt sie auch in diesem Buch, in dem sie die Liebesgeschichte einer siebzigjährigen Schriftstellerin schildert, die noch einmal ohne alle Einschränkungen wagt, sich auf ein neues Leben einzulassen und zwar mit einem Mann, der eigentlich in vielen, vielen Punkten nicht zu ihr passt. Aber all diese Aspekte werden unwesentlich, weil sie „bedürftig“ nacheinander waren, so schreibt sie. Dieses bescheidene, unglaublich verhaltene Wort, zeigt mehr als alle pathetischen Bekenntnisse es könnten, wie bedeutsam Zuwendung, Zu-hören und Vertrauen sind, so bedeutsam, dass angenehme Gewohnheit verzichtbar wird und eine neue Möglichkeit von Glück erwächst. Sie schildert überzeugend mit der für sie typischen Diskretion eine sinnliche, leidenschaftliche Beziehung, die einer Liebe in der Jugend nicht nur an Intensität gleichkommt, sondern sogar auf Grund der besonderen Situation des alternden Menschen eine andere, großartige Freiheit erfährt, die nur das Alter hat.

Der Reiz dieser sehr ungewöhnlichen Liebesgeschichte mag sich eher für ein weibliches Lesepublikum offenbaren. An Allgemeingültigkeit jedoch mangelt es in diesem Roman nicht, denn die Protagonistin – eine Schriftstellerin – steht an der Schwelle ihrer Alzheimer Erkrankung, deren melancholisch und leider typischer Verlauf durch die Rahmenerzählung geschildert wird, die am Schluss offenbart, dass der erste Teil des Buches der letzte literarische Versuch der erkrankenden „Heldin“ ist.

Marion Hermann-Röttgen

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